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Rekordzahlen, Ängste und Proteste

9.026 bestätigte Corona-Fälle in Nepal, 22 Todesfälle – jeden Tag wird eine neue Rekordzahl an Neuinfizierten gemeldet. Allein die Zahlen sind schlimm, aber mich erschrecken vor allem die indirekten Auswirkungen, die die Pandemie auf arme Länder wie Nepal hat. Schon vorher war für viele Nepalesen jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Seit Beginn des Lockdowns am 24. März haben mehr als 1.200 Nepalesen diesen Kampf aufgegeben und Selbstmord begangen. Sie konnten mit den Zukunftsängsten, häuslicher Gewalt oder durch Einsamkeit verstärkte mentale Probleme nicht mehr leben. Auch jetzt, wo es langsam Lockerungen gibt kann niemand die Folgen absehen, die vor allem auch Kinder und Jugendliche betreffen.

Auch die Stigmatisierung von Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind oder waren, sowie derer, die nun aus dem Ausland zurück in ihre Dörfer kommen, wird die nepalesische Bevölkerung auf lange Zeit verändern. Die Geschichten der Heimkehrer bedrücken mich sehr. Jahrelang haben sie mehr Zeit im Ausland als in der Heimat verbracht, um mit dem verdienten Geld ihre Familien zu unterstützen. Ohne all diese Arbeiter hätte die Wirtschaft in Nepal eine noch schlechtere Lage gehabt als sowieso schon. Mit dem Lockdown war eine Heimkehr lange unmöglich. Nun sind die Grenzen für diese Menschen wieder offen und vor allem aus Indien strömen sie zurück. Für den Rückweg mussten viele Kredite aufnehmen, weil die kleinen Ersparnisse aufgebraucht waren. Als sie es bis zur Grenze geschafft hatten, folgte eine ungewisse Zeit in Lagern auf indischer Seite der Grenze. Mit Öffnung der Grenze können sie nun zurück in ihr Heimatland. Nach einem Covid-19-Test folgt der Aufenthalt in einer der überfüllten Quarantänestationen. Wer dort 14 Tage keine Symptome zeigt, darf weiter in sein Heimatdorf. Der Weg dorthin entwickelt sich für viele zum Spießrutenlauf. Händler verweigern ihnen den Kauf von Lebensmitteln, weil sie von potenziell Infizierten kein Geld annehmen wollen, so groß ist die Furcht vor Ansteckung. Das setzt sich nach der Rückkehr ins heimatliche Dorf fort. Niemand will Kontakt zu den Rückkehrern haben.
Durch die schlechten Bedingungen in den Quarantäneeinrichtungen, die sich inzwischen zu Ansteckungszentren entwickelt haben, kann man die Angst der - oftmals wenig gebildeten - Dorfbewohner sogar verstehen. Dazu kommen Berichte, dass die verwendeten Tests nur zu 50% zuverlässige Ergebnisse liefern.

In den Städten hingegen wird inzwischen der Widerstand gegen die Lockdown-Maßnahmen und die, in vielen Augen unfähige, Regierung immer größer. Vor allem junge Menschen gehen auf die Straßen. Sie fordern die Verwendung von zuverlässigeren Tests, bessere Kontaktverfolgung, besseren Schutz für medizinisches Personal, sichere Quarantäneeinrichtungen und die Offenlegung der angeblich für Coronahilfen verwendeten Gelder. In diesen Zeiten kommen immer mehr Korruptionsaffären ans Licht. Der Premierminister versucht das Volk mit nichtssagenden Erklärungen abzuspeisen. Oder er gibt sogar gefährliche Gesundheitsanweisungen, wie die Aussage, dass Kurkuma immun gegen Covid-19 macht. Der Bericht der Kathmandu Post enthält beeindruckende Fotos.

Zusätzlich verstrickt sich die Regierung in einen Grenzstreit mit Indien, beide beanspruchen den Lipulekh Pass für sich. Man sollte meinen, dass beide Länder mit dem stetigen Ansteigen der Infektionen andere Sorgen hätten…

Ein weiterer Punkt in den Protesten betrifft die fehlenden Einkünfte im Lockdown. Seit drei Monaten hat ein Großteil der Nepalesen keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. In anderen Fällen werden Arbeiter nur teilweise oder gar nicht für verrichtete Dienste bezahlt. Die Arbeitgeber erklären, dass sie den Lohn aufgrund der Pandemie aussetzen müssen.

Die letzten Kundgebungen am Samstag verliefen auf beiden Seiten friedlich, frühere Prostete wurden jedoch mit Tränengas und Wasserwerfern aufgelöst.

Wenn ich die Kathmandu Post, lese bin ich erschrocken, wie sich die Pandemie auf ein Land auswirkt, mit dem ich viele wundervolle Erinnerungen verbinde; die Sorge um Freunde ist täglicher Begleiter. Und es zeigt mir jedes Mal wieder, welch ein Glück ich habe, in einem Land mit stabiler, besonnen reagierender Regierung zu leben.