Blickwinkel

Veröffentlicht: Montag, 21. April 2014 20:46

Hier kommen Menschen aus Nepal zu Wort, die ihre persönliche Sicht auf ihr Heimatland Nepal schildern.

Kumar

"Ob Kinder zur Schule gehen sollen oder nicht und bis zu welcher Jahrgangsstufe, ist in Nepal nicht gesetzlich geregelt. Normalerweise besucht man die Schule dort bis zur Mittelstufe, sucht sich dann eine Arbeit und lebt eben sein Leben. Kürzlich jedoch hat die Regierung Bildungsprogramme aufgelegt, damit Bauern und Dorfbewohner ohne Schulbildung ihre Kinder einschulen lassen. Besondere Unterstützung wird dabei Mädchen zuteil, da die meisten Familien in Nepal ihre Töchter nicht zur Schule schicken, weil diese eines Tages ja sowieso heiraten und dann Teil einer anderen Familie werden. Aus diesem Grund schicken sie vorzugsweise ihre Söhne, damit sie dort eine Ausbildung erhalten, nach der Schulzeit eine Arbeit finden und Geld zum Unterhalt der Familie beisteuern.

Die Familien leben in der Regel in einem Haus unter einem Dach zusammen. Sie sind einander eng verbunden und bleiben für den Rest ihres Lebens zusammen, ganz anders als dies in der westlichen Welt der Fall ist.

Ein weiteres Problem in Nepal ist, dass Menschen mit wenig Bildung den meisten Entwicklungen hinterherhinken. So werden immer noch Heiraten arrangiert und für gut befunden. Ein zehnjähriges Mädchen heiratet beispielsweise einen zehnjährigen Jungen. Manche sind sogar noch jünger, was natürlich verrückt ist, denn was wissen sie in so jungen Jahren schon vom Leben. 

In ihren Ohren mag dies alles äußerst seltsam klingen, aber vielleicht versuchen sie einfach einmal bei einem ihrer nächsten Besuche  in Nepal mit Dorfbewohnern darüber ins Gespräch zu kommen. Meiner Meinung nach sollten diese Dinge nicht mehr vorkommen und hier spielt natürlich Bildung eine große Rolle, damit Dinge sich verändern.

Heutzutage ist das Bildungsangebot für die Menschen durch mehr Schulen besser geworden, was einiges in den Köpfen einiger Leute verändert hat, auch was das Heiraten im Kindesalter anbetrifft, gottseidank.

Nepal ist ein Land der Dritten Welt, das sich mit der Zeit langsam verändern wird. Jedes Jahr gibt es mehr Schulen, was für eine bessere Versorgung mit Bildung im Land sorgt.  Nepal besteht aus 14 Zonen und 75 Distrikten, wobei es eine Menge ganz entfernter Dörfer und Distrikte ohne Schulen und Krankenhäuser gibt, von öffentlichen Verkehrsmitteln ganz zu schweigen. Das bedeutet, dass die Menschen dort, nur  um in denn Genuss einer medizinischen Behandlung zu kommen, zwei, drei oder auch vier Tage unterwegs zum nächsten Krankenhaus sind.

In der Hauptstadt Kathmandu und in Pokhara befinden sich natürlich die meisten Einrichtungen, aber nicht in den restlichen Landesteilen Nepals.
Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, wie hart die Menschen in Nepal arbeiten und wie freundlich sie sind."

Kumar lebt zur Zeit in England.


Deepak

"Die meisten Menschen kennen Nepal nur, weil sich die höchsten Berge der Welt in diesem Land befinden. Dieser Reichtum an Bergen und Natur wird aber oft mit der Armut, die in diesem Land herrscht, in Verbindung gebracht. Nepal ist also für viele einfach ein reiches Land mit armen Menschen.

Nicht für mich, denn ich bin in diesem Land aufgewachsen, habe dieses Land kennen und lieben gelernt ohne zu wissen, dass es Achttausender in diesem Land gibt und ohne zu merken, dass es den Menschen in anderen Ländern viel „besser" geht. Meine Liebe zu Nepal beruht also nicht auf Fakten, es ist eine Beziehung, die entstanden ist, bevor ich die Fakten wahrnehmen konnte.

Nun aber kenne ich die Fakten. Mit einem Bruttojahreseinkommen von etwa 270 US-Dollar pro Einwohner ist Nepal eines der ärmsten Länder der Welt. Ich bin nicht stolz darauf, möchte aber betonen, dass niedrige Einkommen kein Zeugnis von Armut sind. Denn der Begriff „Armut" ist schwer definierbar. Dieses Wort trägt, je nachdem in welchem Kontext es verwendet wird, unterschiedliche Bedeutung. Aber wie es auch interpretiert wird, Armut ist ein Zustand, in dem sich niemand befinden möchte. Armut ist ein Fluch, es ist ein Schimpfwort und es ist nicht akzeptabel, dass jemand arm ist.

Bitte verwechselt den Mangel an materiellem Besitz nicht mit geistiger Armut. Denn ich möchte, dass ihr wisst, dass die Menschen in Nepal sehr aufgeschlossen und liebenswürdig sind. Mit „lebenden Museen" mit einer Vielzahl von Palästen, Tempeln, Stupas und Denkmälern aller Art, ist die Kultur Nepals eine der reichsten der Welt. Außerdem gibt es dichten Dschungel mit vielen Pflanzenarten. Auch die Tierwelt ist artenreich. Ganz zu schweigen von den hohen Bergen, worüber die ganze Welt schon Bescheid zu wissen scheint.

Es geht mir aber in erster Linie um die Menschen dieses Landes. Es geht mir um die Kinder, die nicht einmal das Nötigste haben um eine Schule zu besuchen. Es geht mir um die Frauen, die vom Bildungssystem ausgeschlossen sind. Es geht mir auch um die Basisinfrastruktur (Brücken- und Wegebau, Trinkwasserversorgung, Toilettenbau etc.) in Nepal, damit das Leben ein wenig leichter wird. Es geht mir einfach darum, etwas in diesem Land zu bewegen, was ein Zeichen der Liebe setzt, die ich für dieses Land empfinde. Es ist natürlich nicht realistisch, dass das Land von heute auf morgen mit allem Nötigen versorgt werden kann. Ich finde es aber wichtig, dass man mit kleinen Projekten versucht, auf lokaler Ebene die Menschen zu unterstützen."

Deepak lebt heute in Österreich. Er betreut ein eigenes Hilfsprojekt.


Sharmila

"Es ist allgemein bekannt, dass das Bildungssystem Nepals in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde. In einem Zeitraum von 50 Jahren haben sich zahlreiche Schulen und Hochschulen etabliert.

Allerdings sind die Einrichtungen nur für Leute, die sie sich leisten können und die Mehrzahl der Kinder der einfachen Leute können diese Bildungschancen durch die schwache Wirtschaftslage nicht erhalten.

Hier ist das Bildungssystem geteilt: die staatlichen Schulen sind von schlechter Qualität und können keine leistungsfähigen Schüler hervorbringen und auf der anderen Seite gibt es die Privatschulen, die eine hochwertige Ausbildung betreiben und die meisten Schüler erreichen exzellente Prüfungsergebnisse.

Sie werden auch von den Hochschulen bei der Vergabe von Studienplätzen und -gelegenheiten bevorzugt.

Nur ca. 30% der Kinder haben zahlungsfähige Eltern, während der Hauptteil, nämlich 70% aus der Gruppe der Minderbemittelten stammt. Die Kinder dieser Gruppe brechen die Schule wegen des armen wirtschaftlichen Hintergrunds häufig nach der Grundschule ab.

Wenn wir uns entschließen, gleiche Ausbildungschancen für beide Gruppen anzubieten, dann ist es nötig, weiterführende Schulen mit Schutzgebühren, die sich die Eltern leisten können, einzurichten. Dann könnte ein Großteil der Kinder innerhalb weniger Jahre ausgebildet werden.

Nepal ist ein Entwicklungsland und für seine weitere Entwicklung braucht es Bildung. Bildung ist einer der wichtigsten Faktoren für Entwicklung.

Es gibt eine Vielzahl von bedürftigen Kindern in Nepal, die aufgrund der Armut ihre Rechte nicht verwirklichen können. Immer, wenn ich als Mädchen sehe, dass Kinder meines Alters keine Ausbildung bekommen und sehr schwer für ihr Überleben arbeiten, rege ich mich sehr auf. Es gibt eine Menge an Problemen in Nepal, die die Entwicklung gestoppt haben. Viele Kinder haben noch nicht mal genug zu essen, somit erscheint ihnen eine Schulbildung, als würden sie nach den Sternen greifen.

Wenn sie also unterstützt würden, dann würden sich viele Probleme in Nepal minimieren und wir könnten auf ein neues Nepal hoffen. Die Mehrzahl der Menschen ist arm und deshalb ist Bildung nur für den Betuchten möglich. Deshalb liegt Nepal weit hinter anderen Ländern zurück.

Aufgrund ihrer Bildung werden sich die Menschen vieler Dinge, wie z.B. Familienplanung zur Reduzierung der Bevölkerung bewusst. Nur Bildung kann ihre Lebensbedingungen verbessern.

Ich wünsche mir immer, dass alle bedürftigen Mädchen in Nepal eine Ausbildung erhalten könnten und zukünftig produktive Mitglieder der Gesellschaft wären, denn das Leben von Mädchen in Nepal ist sehr schwer. Es wird immer noch geglaubt, die Mädchen sollten im Haus bleiben und die Jungs außerhalb arbeiten. Das ist auch einer der Gründe für die Rückständigkeit der Frauen in Nepal.

Wenn Mütter ausgebildet werden, dann werden ihre Kinder auch ausgebildet, denn die Mutter ist die erste Lehrerin und das Zuhause die erste Schule. Also ist Schulbildung in Nepal sehr notwendig."

Sharmila verbrachte 10 Jahre in einem Kinderheim, lebte anschließend wieder einige Jahre bei ihrer Familie in Kathmandu und studiert heute in Indien.
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